Invaliditätsrente – Auslegung des Begriffs „Ausscheiden“ bei der Zusage einer Individualrente
ArbG Berlin, Urteil vom 06.11.2015 – 28 Ca 10279/15
Sachverhalt:
Die Versorgungsordnung der beklagten Arbeitgeberin gewährt eine Invalidenleistung in Form einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsleistung, wenn der Arbeitnehmer aus dem Unternehmen ausgeschieden ist. Die Leistung wird nur für die Dauer der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gezahlt und endet, wenn die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit unter 25 % sinkt oder ganz entfällt.
Die Klägerin erhielt aufgrund einer schweren Erkrankung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, ohne dass das Arbeitsverhältnis zur Beklagten beendet wurde. Den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Invalidenleistung lehnte die Beklagte aufgrund des noch bestehenden wenn auch ruhenden Arbeitsverhältnisses ab.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Begriff des Ausscheidens aus dem Unternehmen auslegungsbedürftig sei, da damit einerseits die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses andererseits aber auch die bloße Tatsache, dass keine Arbeitsleistung mehr erbracht werde, gemeint sein könnte.
Entscheidung:
Das ArbG Berlin sah den Begriff des Ausscheidens ebenso wie die Klägerin als auslegungsbedürftig an. Nach Ansicht des ArbG Berlin ist die formularmäßige Vereinbarung des Ausscheidens als Voraussetzung für den Bezug einer Invalidenrente regelmäßig dahingehend auszulegen, dass nicht zwangsläufig die Vollbeendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist, sondern auch das Ruhen des Arbeitsverhältnis für den Bezug der Invalidenrente ausreicht.
Darüber hinaus wäre eine Klausel, die eine Vollbeendigung des Arbeitsverhältnisses erfordert, wegen unangemessener Benachteiligung des Versorgungsberechtigten unwirksam und verstieße gegen die einschlägigen Gebote zur Gleichbehandlung, solange kein sachgerechter Gesichtspunkt für die Ungleichbehandlung von Arbeitspersonen im ruhenden mit solchen im vollbeendeten Arbeitsverhältnis rechtfertigt.
Bedeutung für die Praxis:
Anders als das ArbG Berlin geht das BAG in seiner bisherigen Rechtsprechung stets davon aus, dass Voraussetzung für ein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis dessen Vollbeendigung ist und lediglich ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses hierfür nicht ausreicht. Insofern steht die Entscheidung des ArbG Berlin der bisherigen Rechtsprechung entgegen. Würde man der Ansicht des ArbG Berlin folgen, wäre zudem fraglich, ob das bloße Ruhen des Arbeitsverhältnisses die steuerlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der zugesagten Leistung als betriebliche Altersversorgung erfüllen würde.
Die Entscheidung des ArbG Berlin ist derzeit noch nicht rechtskräftig. Gegen die Entscheidung wurde Berufung beim LAG Berlin-Brandenburg (Az.: 16 Sa 2150/15) eingelegt. Es bleibt daher abzuwarten, wie das LAG Berlin-Brandenburg die Voraussetzung des Ausscheidens definiert.