Ersatzloser Wegfall einer Hinterbliebenenversorgung ist durch Tarifregelung nicht möglich

10. Dezember 2018vonvon

BAG-Urteil vom 31.07.2018 -3 AZR 731/16

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass eine Hinterbliebenen-versorgung den Grund­sätzen des Vertrauensschutzes und der Verhält­nis­mäßigkeit unterliegt und nicht vollständig und ersatzlos durch Tarifregelungen wegfallen darf.

Tatbestand:

Der Kläger war bei der Beklagten tätig und auf seinen Arbeitsvertrag fand der jeweils gültige Tarifvertrag der Beklagten Anwendung. Nach Vollendung des 57. Lebensjahr schied der Kläger aus dem aktiven Dienst aus und bezog eine tarifliche Übergangs-versorgung. Mit Vollendung des 63. Lebensjahr bezog er die gesetzliche Rente sowie eine Rente von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) und eine Betriebsrente von der Beklagten. Kurz danach heiratete der Kläger.

Der ursprünglich zugrunde liegende Versorgungs-tarifvertrag sah vor, dass eine Anwartschaft auf eine dynamische Versorgungsrente für sich und die Hinterbliebenen im Rahmen der Gesamt­versorgung erworben werden kann, soweit die Satzung der VBL es zu lässt. Nach Eintritt des Versorgungsfalls und nach der Eheschließung wurde die bisherige Versorgung in eine neue Ver­sorgung überführt. Diese regelte dagegen, dass eine Witwenrente nur gewährt wird, wenn die Ehe vor Eintritt des Versorgungsfalls geschlossen wurde und bis zum Tode fortbestehe.

Entscheidung:

Das BAG hat entschieden, dass der Anspruch auf Hinterbliebenenrente der Ehefrau nicht durch die Regelung der neuen Versorgungsordnung ausge­schlossen wird. Zwar finden grundsätzlich die Regelungen der neuen Tarifversorgungsord­nungen auch auf Versorgungsempfänger Anwendung. Das Gericht stellt jedoch fest, dass die Voraussetzungen der neuen Regelungen von Versorgungsempfängern nicht mehr erfüllt werden können. Im vorliegenden Fall wurde die Ehe erst nach Eintritt des Versorgungsfalles geschlossen, aber zu diesem Zeitpunkt waren die Voraussetzungen für die Hinterbliebenenrente nach dem ursprünglichen Tarifvertrag erfüllt. Das BAG kommt zu dem Schluss, dass ein Wegfall der Rente in diesem Fall einen Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Ver­hältnismäßigkeit darstellt.

Es führt dazu aus, dass für Tarifregelungen nach dem geltenden Ablösungsprinzip kein Günstig­keitsvergleich zwischen den bisherigen und den ablösenden Regelungen stattfindet. Zudem stellt es klar, dass aufgrund der grundgesetzlichen Tarifautonomie weitergehende Änderungen in tarifrechtlichen Regelungen möglich sind. Des Weiteren ist das dreistufige Prüfungsschema für die Überprüfung von Eingriffen in Versorgungs­anwartschaften auf solche Regelungen nicht anwendbar. Allerdings darf die Ablösung einer Tarifregelung natürlich nicht gegen das Grund­gesetz oder anderes höherrangiges Recht ver­stoßen. Das Gericht hat festgestellt, dass ver­schlechternde ablösende Tarifregelungen sich typischerweise auf die noch nicht abgeschlos­senen Rechtsbeziehungen der aktiven Arbeit­nehmer oder der Versorgungsempfänger auswir­ken werden. In die Versorgungsrechte oder in laufende Renten darf nur in Form einer Ver­schlechterung eingegriffen, wenn ein legiti­mierender Grund gegeben ist. Wie gewichtig dieser Grund sein muss, hängt von den Nachteilen ab, die durch die Änderung entstehen. Nach Eintritt des Versorgungsfalls können nur noch geringfügige Verschlechterungen gerechtfertigt werden. Der vollständige Wegfall der Hinterblie­benenversorgung ist nicht nur geringfügig. Einer Hinterbliebenenversorgung kommt eine erhebli­che wirtschaftliche Bedeutung zu. Der ersatzlose Wegfall ist sehr schwerwiegend, da Versor­gungsempfänger aus dem aktiven Arbeitsleben ausgeschieden sind und somit auf die geänderte Versorgungssituation kaum bis keinen Einfluss nehmen können.

Bedeutung für die Praxis:

Bei Ablösung von Tarifverträgen ist zu bedenken, dass natürlich das Ablösungsprinzip gilt und kein Vergleich stattfindet, welche Regelung günstiger ist. Die Tarifparteien sind jedoch nicht frei bei der Ablösung der Tarifverträge. Es muss ein legi­timierender Grund vorliegen, der gewichtig ist und im Verhältnis zu den Nachteilen bei dem Ver­sorgungs-berechtigten steht.