Berufsunfähigkeitsrente – versicherungsvertragliche Lösung
BAG, Urteil vom 19.05.2016 – 3 AZR 794/14
Scheidet ein Arbeitnehmer aus dem Unternehmen aus, wendet der Arbeitgeber meist die sog. versicherungsvertragliche Lösung an und gibt dem Arbeitnehmer die Direktversicherung mit. Voraussetzung hierfür ist unter anderem, dass der Arbeitgeber das Verlangen der versicherungsvertraglichen Lösung innerhalb von 3 Monaten nach Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Unternehmen gegenüber dem Arbeitnehmer und dem Versicherer erklärt. In der Praxis ist es mittlerweile üblich, dieses Verlangen bereits bei Vertragsabschluss der Direktversicherung zu erklären, z. B. im Rahmen eines Kollektivvertrags gegenüber dem Versicherer und einer Versorgungsordnung gegenüber dem Arbeitnehmer.
Im Newsletter 2015/2 hatten wir über das Urteil des LAG Schleswig Holstein berichtet. Das LAG Schleswig Holstein vertrat die Auffassung, dass eine vorbehaltlose Erklärung des Arbeitgebers bei Erteilung der Zusage oder während des laufenden Arbeitsverhältnisses über die Anwendung der versicherungsvertraglichen Lösung den gesetzlichen Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG genüge.
Im Revisionsverfahren hatte das BAG nun das Urteil des LAG Schleswig Holstein zu überprüfen und hat dieses modifiziert. Nach Ansicht des BAG genügt eine vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgegebene Erklärung des Arbeitgebers nur dann den gesetzlichen Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung beim Arbeitnehmer bereits ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit einer konkret bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht.
Sachverhalt:
Die Klägerin war mehrere Jahrzehnte bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten angestellt. Im Rahmen ihres Anstellungsverhältnisses wurde eine Direktversicherung abgeschlossen, woraus sich unter anderem ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsleistung ergab. Die Versorgungsordnung regelte, dass bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Anstellungsverhältnis die versicherungsvertragliche Lösung nach § 2 Abs. 2 BetrAVG gelten soll und dass der Anspruch auf Berufsunfähigkeitsleistung erlischt, wenn die Versicherung nicht innerhalb von 3 Monaten nach dem Ausscheiden der Klägerin durch Eigenbeiträge fortgesetzt wird. Darüber hinaus wurde der Klägerin während des laufenden Anstellungsverhältnisses eine Unverfallbarkeitsmitteilung ausgehändigt, in der unter anderem auf die vereinbarte versicherungsvertragliche Lösung hingewiesen wurde.
Nach Ausscheiden aus dem Unternehmen wurde die Klägerin erwerbsunfähig und verlangt nun unter Berücksichtigung des Quotierungsverfahrens nach § 2 Abs. 1 BetrAVG eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente. In dem zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrag wurde u.a. geregelt, dass mit diesem Aufhebungsvertrag sämtliche Ansprüche zwischen den Parteien abgegolten und erledigt sind. Davon ausgenommen sind eventuelle unverfallbare Ansprüche der betrieblichen Altersversorgung.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hatte die Klägerin nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr ausdrücklich auf die bereits vereinbarte versicherungsvertragliche Lösung sowie auf die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Berufsunfähigkeitsleistung durch Eigenbeiträge hingewiesen.
Die Klägerin beruft sich im Klageverfahren darauf, dass die Beklagte ihr gegenüber die Anwendung der versicherungsvertraglichen Lösung nicht innerhalb der 3-Monats-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG erklärt hat. Eine entsprechende Erklärung sei erst ab dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis möglich gewesen. Aus diesem Grund habe sie nun Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente nach dem Quotierungsverfahren.
Daneben macht die Klägerin einen Schadensersatzanspruch geltend, da die Beklagte beim Abschluss des Aufhebungsvertrages gegen ihre vertraglichen Aufklärungs- und Informationspflichten verstoßen habe. Sie hätte die Klägerin bei deren Ausscheiden ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente nur dann aufrechterhalten wird, wenn die Klägerin die Versicherung mit eigenen Beiträgen fortsetzt.
Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat über die Angelegenheit noch nicht abschließend entschieden, sondern die Klage zur Klärung des Sachverhalts an das LAG Schleswig Holstein zurück verwiesen. Zur Auslegung der 3-Monats-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG hat es jedoch im Verweisungsbeschluss konkrete Vorgaben gemacht.
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes kann der Arbeitgeber grundsätzlich das Verlangen der versicherungsvertraglichen Lösung bereits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklären. Allerdings muss dies in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschehen.
Sinn und Zweck der 3-Monats-Frist sei es, dem Arbeitnehmer möglichst bald Klarheit über die nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis entstandenen Rechtspositionen zu verschaffen. Das Verlangen der versicherungsvertraglichen Lösung müsse deshalb auf diese konkrete Situation bezogen sein. Der Arbeitnehmer müsse bei Zugang des Verlangens des Arbeitgebers auf Durchführung der versicherungsvertraglichen Lösung auch ohne weitere Erkundigungen die erforderlichen Versicherungsdaten wie Versicherungsgesellschaft und Versicherungsnummer erkennen können. Die alleinige Möglichkeit, sich diese Daten in der Personalabteilung zu besorgen, reiche nicht aus. Die Erklärung der Wahl der versicherungsvertraglichen Lösung im Rahmen einer Betriebsvereinbarung wäre schon deshalb nicht ausreichend, weil eine Betriebsvereinbarung keine Willenserklärungen gegenüber einzelnen Arbeitnehmern, sondern Rechtsnormen beinhalte.
Bedeutung für die Praxis:
Um die Einhaltung der 3-Monats-Frist im Rahmen der versicherungsvertraglichen Lösung sicherzustellen, erfolgt die Erklärung des Arbeitgebers in der Praxis meist schon bei Abschluss der Direktversicherung. Die Erklärung gegenüber dem Versicherer wird dabei entweder in einer Zusatzerklärung des Arbeitgebers oder in einer Kollektivvereinbarung dokumentiert. Gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgt die Erklärung meist unmittelbar in der Zusage oder in der Entgeltumwandlungsvereinbarung bzw. in einer entsprechenden Versorgungsordnung.
Aufgrund des Urteils des Bundesarbeitsgerichts muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass er die vertragliche Lösung erst im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers, innerhalb von drei Monaten nach dessen Ausscheiden unter Angabe der Versicherungsgesellschaft sowie der Versicherungsnummer geltend macht. Die Erklärung muss sowohl dem Versicherungsunternehmen als auch dem Arbeitnehmer zugehen. Dabei sollte der Arbeitgeber den rechtzeitigen Zugang dieser Erklärungen nachweisen können.
Kann der Arbeitgeber den fristgemäßen Zugang dieses Verlangens gegenüber dem Versicherungsunternehmen nicht nachweisen, darf die versicherungsvertragliche Lösung nicht durchgeführt werden und dieser kann sich somit nicht durch die Übertragung der Versicherung auf den Arbeitnehmer enthaften.