Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung
Sachverhalt
Gegenstand dieses Urteils des Bundesarbeitsgerichts war die Frage, ob ein Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung besteht. Es ging vor allem darum, ob Vorgaben in der Versorgungsordnung der Beklagten wirksam sind, die die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung regeln. In der Versorgungsordnung war unter anderem eine Spätehenklausel geregelt, die bestimmte, dass die Eheschließung des Mitarbeiters vor Vollendung des 60. Lebensjahres geschehen muss. Zudem war unter anderem noch eine Mindestehedauerklausel geregelt, die bestimmte, dass die Ehe vor dem Tod des Mitarbeiters mindestens ein Jahr bestanden haben muss. Der verstorbene Ehemann wurde 1954 geboren und war seit 5. Januar 2018 mit der Klägerin verheiratet. Somit war der Mitarbeiter über 60 Jahre alt, als er geheiratet hat. Der Mitarbeiter starb infolge eines Autounfalls am 15. September 2018. Damit bestand die Ehe des Mitarbeiters auch nicht ein Jahr.
Die Beklagte lehnte daher die Zahlung einer Hinterbliebenenrente ab. Die Klägerin begehrte beim Arbeitsgericht die Zahlung einer Hinterbliebenenrente. Sie war der Meinung, dass die Spätehenklausel und die Mindestehedauerklausel in der Versorgungsordnung nicht wirksam seien.
Sie argumentierte, dass die Spätehenklausel unwirksam sei, da hierin eine unmittelbare Altersbenachteiligung liege. Dies sei auch die Rechtsprechung des Senats. Die Klägerin war zudem der Ansicht, dass die Mindestehedauerklausel unwirksam sei, da sie eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstelle.
Das Arbeitsgericht München wies die Klage ab. Es war der Meinung, dass jedenfalls die Regelung, dass die Ehe vor dem Tod des Mitarbeiters mindestens ein Jahr bestanden haben muss, wirksam sei. Da die Mindestehedauer hier nicht vorliege, hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht München war der Ansicht, dass die Spätehenklausel und die Mindestehedauerklausel unwirksam seien und sprach der Klägerin deshalb einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente zu. Die Beklagte legte dann Revision beim Bundesarbeitsgericht ein.
Entscheidung
Das BAG entschied, dass die Spätehenklausel unwirksam gemäß § 7 Abs. 2 AGG ist, da hier gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters verstoßen wurde. Somit führte der Senat seine Rechtsprechung fort. Der vollkommene Ausschluss einer Hinterbliebenenversorgung im Fall einer Heirat nach Vollendung des 60. Lebensjahres stelle eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der berechtigten Interessen der Versorgungsberechtigten dar. Die Vollendung des 60. Lebensjahres stelle auch keinen Zeitpunkt dar, bei dem üblicherweise das Ende des Arbeitsverhältnisses eintritt.
Zudem entschied das BAG, dass auch die Mindestehedauerklausel anhand der AGB-Kontrolle zu prüfen ist und dass diese unwirksam gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BGB ist. Das Ergebnis der Interessenabwägung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebe eine unangemessene Benachteiligung. Der Versorgungsberechtigte werde hier unangemessen benachteiligt, da die Mindestehedauerklausel keine Möglichkeit beinhalte, vorzubringen, dass es sich bei dieser Ehe um keine Versorgungsehe handele. Zwar könne eine gewisse Mindestehedauer angemessen sein, jedoch müsse es dann den Hinterbliebenen im Falle des Todes des Versorgungsberechtigten innerhalb dieser Mindestehefrist möglich sein, zu belegen, dass sich dieses Risiko noch nicht näher präzisiert hatte, als die Ehe geschlossen wurde. Das bedeutet, es müsse möglich sein, vorzubringen, dass bei Eheschließung noch keine Anzeichen für ein konkretisiertes Todesfallrisiko vorlagen.
Bedeutung für die Praxis:
Das BAG hat in diesem Urteil benachteiligende Klauseln in betrieblichen Versorgungsordnungen für unwirksam erklärt und damit die Hinterbliebenenrechte bestärkt. Das ist besonders bei der Ausgestaltung von betrieblichen Versorgungsordnungen zu berücksichtigen.
Ein aktuelles Urteil des Sozialgerichts Berlin – S 4 R 618/21 – vom 19.03.2024 zeigt, dass auch Ehen mit einer geringeren Dauer als einem Jahr nicht zwangsläufig als Versorgungsehe einzustufen sind. Hier ging es darum, ob der Kläger einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente hat. Seine verstorbene Ehefrau hatte eine Versicherung, aus der der Kläger eine Hinterbliebenenrente geltend machte. Die Eheschließung war im April 2020. Die Ehefrau verstarb bereits im Juli 2020. Somit bestand die Ehe kürzer als ein Jahr. Es gibt jedoch die gesetzliche Vermutung, dass eine Versorgungsehe vorliegt, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr bestanden hat. Dann besteht auch kein Anspruch auf Witwen-, bzw. Witwerrente. Deshalb lehnte die Beklagte den Anspruch auf Hinterbliebenenrente ab. Hier sei jedoch diese gesetzliche Vermutung widerlegt worden, dass es sich bei dieser Ehe, die kürzer als ein Jahr bestand hatte, um eine Versorgungsehe handele. Denn der Kläger habe hier besondere Umstände vorgebracht. Ein erneutes Auftreten einer vor Jahren schon mal bestehenden Krankheit der Ehefrau wurde im Dezember 2019 erkannt. Die entscheidende Diagnose der Krankheit der Ehefrau wurde im März 2020 gestellt. Es gebe aber Aspekte, die belegen, dass das Ehepaar seine Heiratsentscheidung bereits vor dieser Diagnose getroffen habe. So wurde bereits im November 2019 beim Standesamt der Heiratstermin vorgebracht. Würde es sich um eine Versorgungsehe handeln, wäre die Ehe bereits früher geschlossen worden. Damit würde es sich um keine Versorgungsehe handeln. Folglich entschied das Sozialgericht, dass der Kläger einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente hat.
(BAG, Urteil vom 21. November 2023 – 3 AZR 44/23)