Betriebsübergang – Haftung für Anwartschaften vor dem Zeitpunkt der Insolvenz

29. März 2021vonvon

Das Bundesarbeitsgericht hatte dem EuGH in zwei Verfahren (3 AZR 878/16 und 3 AZR 139/17) Fragen zum Übergang der Haftung für Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung eines insolventen Unternehmens auf den Betriebserwerber vorgelegt. Wir haben hierzu in unserm Newsletter 4/2018 „EuGH entscheidet über Haftung des Erwerbers eines insolventen Betriebs“ vom 10. Dezember 2018 berichtet.

Sachverhalt:
Zwei Arbeitnehmer eines insolventen Unternehmens fordern von ihrem neuen Arbeitgeber, der das insolvente Unternehmen übernommen hatte, die Betriebsrente in voller Höhe, abzüglich des vom PSVaG gezahlten Betrages. Aufgrund der einschränkenden Auslegung des § 613a BGB haftet der Betriebserwerber nach deutschem Recht lediglich für Ansprüche, die von den Arbeitnehmern nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient wurden. Das Bundesarbeitsgericht hat dem EuGH daher die Frage vorgelegt, ob diese Auslegung mit den Art. 3 Abs. 4 und Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/23/EG Europäischen Regelungen vereinbar ist und ob gegebenenfalls Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG unmittelbare Geltung entfaltet und sich Arbeitnehmer deshalb auch gegenüber dem PSVaG auf diesen berufen können.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH):
Nach Auffassung des EuGH ist die nach deutschem Recht geltende Einschränkung, dass der Erwerber eines insolventen Unternehmens nicht für Anwartschaften haftet, die auf Beschäftigungszeiten vor der Insolvenzeröffnung beruhen, grundsätzlich zulässig. Allerdings ist in diesem Fall für Anwartschaften, die vor der Insolvenzeröffnung erworben wurden, ein Mindestschutz entsprechend dem Urteil des EuGH vom 19.12.2020, C-168/18 sicherzustellen. Hiernach muss dem Versorgungsberechtigten eine Mindestleistung in Höhe von 50% der Anwartschaften aufrechterhalten werden. Zudem ist sicherzustellen, dass der Versorgungsberechtigte durch die Kürzung der Anwartschaften nicht unter die Armutsgefährdungsgrenze rutscht. Der Mindestschutz gilt dabei nach Auffassung des EuGH auch für Anwartschaften, die im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch verfallbar waren.

Hinsichtlich der Frage, ob die Arbeitnehmer ihre Ansprüche unmittelbar gegenüber dem PSVaG geltend machen können, verweist der EuGH im Wesentlichen auf seine Entscheidung vom 19.12.2020, C-168/18.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG):
Der EuGH hat die Vorlagefragen des Bundesarbeitsgerichts beantwortet. Die Umsetzung der aktuellen Einzelfälle unterfällt jedoch dem Aufgabenbereich des nationalen Gerichts. Das BAG hat nunmehr in den genannten Fällen am 26.01.2021 die Ansprüche der Kläger endgültig abgewiesen.

Nach Überzeugung des BAG haftet der beklagte Betriebserwerber in der Insolvenz nicht für Versorgungsanwartschaften der Arbeitnehmer, die in der Zeit vor Insolvenzeröffnung entstanden sind. Das BAG stützt seine Entscheidung auf das o.g. Urteil des EuGH, wonach diese Auffassung grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar ist, solange ein entsprechender Mindestschutz für die Versorgungsanwartschaften gewährt wird. Nach Auffassung des BAG wird dieser unionsrechtlich gebotene Mindestschutz durch einen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den PSV gewährleistet. Da in den vorliegenden Fällen die strittigen Versorgungsanwartschaften durch Beschäftigungszeiten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient worden sind, haftet der Betriebserwerber für diese Versorgungsanwartschaften nicht.

Bedeutung für die Praxis:
Die Urteile bestätigen die in Deutschland gängige Praxis und ständige Rechtsprechung zur Haftung des Betriebserwerbers. Eine neuerliche Gesetzesänderung zur Einstandspflicht ist somit nicht erforderlich.

(EuGH, Urteil vom 09. September 2020 – C-674/178 und C675/18
Pressemitteilung Nr. 2/21 des Bundesarbeitsgerichts zu Urteilen vom 26.01.2021, 3 AZR 878/16 und 3 AZR 139/17
(die Urteile sind bislang noch nicht veröffentlicht)