Berufsunfähigkeitsrente – versicherungsvertragliche Lösung

27. Oktober 2016vonvon

BAG, Urteil vom 19.05.2016 – 3 AZR 794/14
Scheidet ein Arbeitnehmer aus dem Unter­nehmen aus, wendet der Arbeitgeber meist die sog. versicherungsvertragliche Lösung an und gibt dem Arbeitnehmer die Direktversicherung mit. Voraussetzung hierfür ist unter anderem, dass der Arbeitgeber das Verlangen der versicherungsvertraglichen Lösung innerhalb von 3 Monaten nach Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Unternehmen gegenüber dem Ar­beitnehmer und dem Versicherer erklärt. In der Praxis ist es mittlerweile üblich, dieses Verlangen bereits bei Vertragsabschluss der Direktver­sicherung zu erklären, z. B. im Rahmen eines Kollektivvertrags gegenüber dem Versicherer und einer Versorgungsordnung gegenüber dem Ar­beitnehmer.

Im Newsletter 2015/2 hatten wir über das Urteil des LAG Schleswig Holstein berichtet. Das LAG Schleswig Holstein vertrat die Auffassung, dass eine vorbehaltlose Erklärung des Arbeitgebers bei Erteilung der Zusage oder während des lau­fenden Arbeitsverhältnisses über die Anwendung der versicherungsvertraglichen Lösung den ge­setzlichen Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG genüge.

Im Revisionsverfahren hatte das BAG nun das Urteil des LAG Schleswig Holstein zu überprüfen und hat dieses modifiziert. Nach Ansicht des BAG genügt eine vor Beendigung des Arbeitsver­hältnisses abgegebene Erklärung des Arbeit­gebers nur dann den gesetzlichen Anforderungen des § 2 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG, wenn zum Zeit­punkt des Zugangs der Erklärung beim Arbeit­nehmer bereits ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit einer konkret bevor­stehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht.

Sachverhalt:

Die Klägerin war mehrere Jahrzehnte bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten angestellt. Im Rahmen ihres Anstellungsverhältnisses wurde eine Direktversicherung abgeschlossen, woraus sich unter anderem ein Anspruch auf Berufs­unfähigkeitsleistung ergab. Die Versorgungsord­nung regelte, dass bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Anstellungsverhältnis die versicherungs­vertragliche Lösung nach § 2 Abs. 2 BetrAVG gelten soll und dass der Anspruch auf Berufs­unfähigkeitsleistung erlischt, wenn die Versiche­rung nicht innerhalb von 3 Monaten nach dem Ausscheiden der Klägerin durch Eigenbeiträge fortgesetzt wird. Darüber hinaus wurde der Klä­gerin während des laufenden Anstellungs­verhältnisses eine Unverfallbarkeitsmitteilung ausgehändigt, in der unter anderem auf die ver­einbarte versicherungsvertragliche Lösung hinge­wiesen wurde.

Nach Ausscheiden aus dem Unternehmen wurde die Klägerin erwerbsunfähig und verlangt nun unter Berücksichtigung des Quotierungsverfah­rens nach § 2 Abs. 1 BetrAVG eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente. In dem zwischen den Parteien geschlossenen Aufhebungsvertrag wurde u.a. geregelt, dass mit diesem Aufhe­bungsvertrag sämtliche Ansprüche zwischen den Parteien abgegolten und erledigt sind. Davon ausgenommen sind eventuelle unverfallbare Ansprüche der betrieblichen Altersversorgung.

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hatte die Klägerin nach Ausscheiden aus dem Arbeits­verhältnis nicht mehr ausdrücklich auf die bereits vereinbarte versicherungsvertragliche Lösung sowie auf die Möglichkeit der Aufrechterhaltung der Berufsunfähigkeitsleistung durch Eigenbeiträ­ge hingewiesen.

Die Klägerin beruft sich im Klageverfahren dar­auf, dass die Beklagte ihr gegenüber die Anwen­dung der versicherungsvertraglichen Lösung nicht innerhalb der 3-Monats-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG erklärt hat. Eine entsprechende Erklärung sei erst ab dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis möglich gewesen. Aus diesem Grund habe sie nun Anspruch auf Berufsun­fähig­keitsrente nach dem Quotierungsverfahren.

Daneben macht die Klägerin einen Schadens­ersatzanspruch geltend, da die Beklagte beim Abschluss des Aufhebungsvertrages gegen ihre vertraglichen Aufklärungs- und Informations­pflichten verstoßen habe. Sie hätte die Klägerin bei deren Ausscheiden ausdrücklich darauf hin­weisen müssen, dass ein Anspruch auf Berufs­unfähigkeitsrente nur dann aufrechterhalten wird, wenn die Klägerin die Versicherung mit eigenen Beiträgen fortsetzt.

Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat über die Angele­genheit noch nicht abschließend entschieden, sondern die Klage zur Klärung des Sachverhalts an das LAG Schleswig Holstein zurück verwiesen. Zur Auslegung der 3-Monats-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG hat es jedoch im Verweisungs­beschluss konkrete Vorgaben gemacht.

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes kann der Arbeitgeber grundsätzlich das Verlan­gen der versicherungsvertraglichen Lösung be­reits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklären. Allerdings muss dies in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Beendi­gung des Arbeitsverhältnisses geschehen.

Sinn und Zweck der 3-Monats-Frist sei es, dem Arbeitnehmer möglichst bald Klarheit über die nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsver­hältnis entstandenen Rechtspositionen zu ver­schaffen. Das Verlangen der versicherungs­vertraglichen Lösung müsse deshalb auf diese konkrete Situation bezogen sein. Der Arbeit­nehmer müsse bei Zugang des Verlangens des Arbeitgebers auf Durchführung der versiche­rungsvertraglichen Lösung auch ohne weitere Erkundigungen die erforderlichen Versicherungs­daten wie Versicherungsgesellschaft und Ver­sicherungsnummer erkennen können. Die alleinige Möglichkeit, sich diese Daten in der Personalabteilung zu besorgen, reiche nicht aus. Die Erklärung der Wahl der versicherungs­vertraglichen Lösung im Rahmen einer Betriebs­vereinbarung wäre schon deshalb nicht ausrei­chend, weil eine Betriebsvereinbarung keine Willenserklärungen gegenüber einzelnen Arbeit­nehmern, sondern Rechtsnormen beinhalte.

Bedeutung für die Praxis:

Um die Einhaltung der 3-Monats-Frist im Rahmen der versicherungsvertraglichen Lösung sicherzu­stellen, erfolgt die Erklärung des Arbeitgebers in der Praxis meist schon bei Abschluss der Direktversicherung. Die Erklärung gegenüber dem Versicherer wird dabei entweder in einer Zusatzerklärung des Arbeitgebers oder in einer Kollektivvereinbarung dokumentiert. Gegenüber dem Arbeitnehmer erfolgt die Erklärung meist unmittelbar in der Zusage oder in der Entgelt­umwandlungsvereinbarung bzw. in einer ent­sprechenden Versorgungsordnung.

Aufgrund des Urteils des Bundesarbeitsgerichts muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass er die vertragliche Lösung erst im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers, innerhalb von drei Monaten nach dessen Ausscheiden unter Angabe der Versicherungsgesellschaft so­wie der Versicherungsnummer geltend macht. Die Erklärung muss sowohl dem Versiche­rungsunternehmen als auch dem Arbeitnehmer zugehen. Dabei sollte der Arbeitgeber den rechtzeitigen Zugang dieser Erklärungen nach­weisen können.

Kann der Arbeitgeber den fristgemäßen Zugang dieses Verlangens gegenüber dem Versiche­rungsunternehmen nicht nachweisen, darf die versicherungsvertragliche Lösung nicht durchge­führt werden und dieser kann sich somit nicht durch die Übertragung der Versicherung auf den Arbeitnehmer enthaften.