Invaliditätsrente – Auslegung des Begriffs „Ausscheiden“ bei der Zusage einer Individualrente

12. Juni 2016vonvon

ArbG Berlin, Urteil vom 06.11.2015 – 28 Ca 10279/15
Sachverhalt:

Die Versorgungsordnung der beklagten Arbeit­geberin gewährt eine Invalidenleistung in Form einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsleistung, wenn der Arbeitnehmer aus dem Unternehmen ausgeschieden ist. Die Leistung wird nur für die Dauer der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ge­zahlt und endet, wenn die Berufs- oder Erwerbs­unfähigkeit unter 25 % sinkt oder ganz entfällt.

Die Klägerin erhielt aufgrund einer schweren Erkrankung eine Rente wegen voller Erwerbs­minderung, ohne dass das Arbeitsverhältnis zur Beklagten beendet wurde. Den geltend gemach­ten Anspruch der Klägerin auf Invalidenleistung lehnte die Beklagte aufgrund des noch bestehen­den wenn auch ruhenden Arbeitsverhältnisses ab.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Begriff des Ausscheidens aus dem Unternehmen ausle­gungsbedürftig sei, da damit einerseits die recht­liche Beendigung des Arbeitsverhältnisses ande­rerseits aber auch die bloße Tatsache, dass keine Arbeitsleistung mehr erbracht werde, gemeint sein könnte.

Entscheidung:

Das ArbG Berlin sah den Begriff des Aus­scheidens ebenso wie die Klägerin als ausle­gungsbedürftig an. Nach Ansicht des ArbG Berlin ist die formularmäßige Vereinbarung des Aus­scheidens als Voraussetzung für den Bezug einer Invalidenrente regelmäßig dahingehend auszu­legen, dass nicht zwangsläufig die Vollbeendi­gung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist, sondern auch das Ruhen des Arbeitsverhältnis für den Bezug der Invalidenrente ausreicht.

Darüber hinaus wäre eine Klausel, die eine Vollbeendigung des Arbeitsverhältnisses erfor­dert, wegen unangemessener Benachteiligung des Versorgungsberechtigten unwirksam und verstieße gegen die einschlägigen Gebote zur Gleichbehandlung, solange kein sachgerechter Gesichtspunkt für die Ungleichbehandlung von Arbeitspersonen im ruhenden mit solchen im vollbeendeten Arbeitsverhältnis rechtfertigt.

Bedeutung für die Praxis:

Anders als das ArbG Berlin geht das BAG in seiner bisherigen Rechtsprechung stets davon aus, dass Voraussetzung für ein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis dessen Vollbeendigung ist und lediglich ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses hierfür nicht ausreicht. Insofern steht die Entscheidung des ArbG Berlin der bisherigen Rechtsprechung entgegen. Würde man der An­sicht des ArbG Berlin folgen, wäre zudem frag­lich, ob das bloße Ruhen des Arbeitsverhältnisses die steuerlichen Voraussetzungen für die Aner­kennung der zugesagten Leistung als betriebliche Altersversorgung erfüllen würde.

Die Entscheidung des ArbG Berlin ist derzeit noch nicht rechtskräftig. Gegen die Entscheidung wurde Berufung beim LAG Berlin-Brandenburg (Az.: 16 Sa 2150/15) eingelegt. Es bleibt daher abzuwarten, wie das LAG Berlin-Brandenburg die Voraussetzung des Ausscheidens definiert.